In europäischen Medien finden Aleviten häufig Erwähnung als gemäßigte Muslime, die sich laizistischen, weltoffenen und demokratischen Weltbildern verschrieben hätten. Frefel spricht von ihnen als „schiitische“ Aleviten, in der Frankfurter Rundschau werden sie „Alawiten“ genannt, bei denen im Gegensatz zum sunnitischen Islam Frauen und Männern gleiche Rechte zustünden. An gleicher Stelle wird konstatiert, ihr liberales Religionsverständnis mache sie zu Intimfeinden der sunnitischen Theologie. In einem Beitrag des linksradikalen „Widerstand“ heißt es, erst durch das Erstarken der alevitischen Bewegung in der Türkei sowie in Europa trete die alevitische Glaubensgemeinschaft mit seinem Begehren für Eigenständigkeit und Gleichberechtigung sowie Freiheit aller Glaubensauffassungen in der Türkei in die Medien.
In Kapitel 3.1 wurde bereits erwähnt, daß sich Aleviten relativ frühzeitig nach Europa anwerben ließen. Genaue Zahlen liegen bislang nicht vor, allerdings legen die seit Anfang der 90er einsetzenden Vereinsgründungen nahe, daß die Bewegung auf fruchtbaren Boden stößt. Die linksradikale Zeitung „Widerstand“ beziffert die Zahl alevitischer Gemeinden unter dem Dach der „Europäischen Föderation der Aleviten-Gemeinden" (AABF, Hauptsitz in Köln) auf 130, insgesamt zählten diese 20.000 Mitglieder. Gülçiçek gibt die Zahl der Vereine europaweit mit 140 an, 93 davon allein in Deutschland; sogar in kleineren Städten wie Lahnau (Hessen) oder Selb (Unterfranken) haben sich Interessenvertretungen gegründet. Auch in den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und Österreich ist der Organisierungsgrad beträchtlich, die Zahl alevitischer Kulturgemeinden in Großbritannien, Dänemark und Schweden hingegen ist verschwindend gering.
Die eingangs erwähnte AABF verfolgt eine gemäßigte Politik und nimmt keine direkte oppositionelle Haltung zum türkischen Regime an. Der Türkei ist die Föderation dennoch nicht geheuer, weil sie sich von Zeit zu Zeit Kritik in Menschenrechtsfragen anhören muß. Deshalb ist das Land nach AABF Meinung versucht, staatskonforme Organisationen zum Leben zu erwecken und diese mit nicht unbeträchtlichen Geldmengen zu unterstützten. Der halbstaatlichen Stiftung „Republikanische Erziehungszentrale“, dessen türkische Bezeichnung „Cumhuriyetçi Egitim Merkezi“ bzw. „C.E.M.-Vakfi“ mit ihren Anfangsbuchstaben gewolltermaßen den Begriff C.E.M. imitiert (hier sollen Analogien zum alevitischen Cem-Ritual geweckt werden), gilt der Vorwurf zuallererst. Dem Verband sitzt der äußerst populäre alevitische Dede Izzettin Dogan vor. Mit Aktionen, wie das Versprechen vom Abzweigen des Budgets des Religionsministeriums für die C.E.M., dem Sponsoring einer Hochglanz-zeitschrift mit gleichem Namen und einem Budget für den Aufbau eines C.E.M.-Netzes in Deutschland, zeige sich der Stellenwert der „C.E.M.-Vakfi“ für die türkische Regierung. Izzettin Dogan hingegen wird in allen türkischen Fernsehsendern, die in Deutschland zu empfangen sind, zum einzig wahren alevitischen „Führer“ deklariert. Schließlich hat man es geschafft, etwa ein Dutzend alevitische Ortsvereine in Deutschland zu einem Zusammenschluß zu vereinigen und eine "C.E.M.-Föderation" in Deutschland, mit Sitz in Essen, zu gründen. Der AABF stehen scheinbar auch keine geringen Geldmittel zur Verfügung, auch sie gibt eine auflagenstarke Zeitschrift (Alevilerin Sesi) heraus, die Gründung der „Alevi Akademisi“ (Alevitische Akademie) in Köln ist ihr Verdienst; vom Vorsitzenden Ali Kiliç wurde die Einrichtung als Scheidepunkt in der alevitischen Geschichtsschreibung angepriesen.
Dogan selbst nahm im April 1998 an einem Symposium des alevitischen
Kulturzentrums Duisburg teil, zu dem die Ikonen der alevitischen
Dachverbände aus der Bundesrepublik und der Türkei geladen waren.
Die Disputanten stellten sich der Frage, warum die Aleviten nicht unter
einem Dach zusammenfinden könnten, statt dessen splitterhaft in mehreren
Verbänden agierten. Während Dogan den Glaubensaspekt und damit
die Affinität zum und die Immanenz des Islam in den Vordergrund rückte,
distanzierte sich ein Redner fundamentalistischer und reaktionärer
Inhalte wegen von der Lehre Mohammeds und den Richtlinien des Koran. Andere
wiederum betonten den politischen und zeitlebens nonkonformen Charakter
des Alevitentums, der sich stets gegen Intoleranz und Gewaltherrschaft
aufgelehnt habe. Dogan mochte sich den häufig erhobenen Vorwurf der
Kollaboration mit dem türkischen Staat nicht gefallen lassen; staatliche
Fördermittel aus dem Etat des Ministeriums für religiöse
Angelegenheitenn seien berechtigterweise schon immer eine zentrale alevitische
Forderung gewesen. Erfolglos versuchte er auf den Widerspruch aufmerksam
zu machen, daß man nicht Gleichheit fordern könne, um im nächsten
Atemzug nach Distanz zum Staat zu schreien.