Das oberste moralische Gebot lautet: „Eline, beline, diline sahip ol“ (Hüte Deine Hände, Deine Lende, Deine Zunge). Diese normative Eigenbezeichnung kann zugleich als substantieller religiöser Identitätsfaktor gewertet werden.
Die Kontrolle über die eigenen Hände soll zum Ausdruck bringen, daß fremdes Eigentum tabu und unbedingt zu respektieren ist. Der Respekt dieser Maxime ging mancherorts soweit, daß sich alevitische Händler weigerten, Waagen zu benutzen, weil sie der Meinung waren, diese könnten womöglich ungenau sein; statt dessen benutzten sie Meßgefäße. Brandenburg erwähnt eine solche Reisebeobachtung: „Die Kysylbasch leben hauptsächlich vom Opiumbau und Kohlenbrennerei. [...] Ich habe mehrfach gesehen, dass sie Abwiegen bei ihren Tauschgeschäften gern vermeiden und lieber zählen.“
Die Beherrschung der Lende legt die sexuellen Richtlinien der Gemeinschaft fest. Monogame Ehen sind vorgeschrieben, Ehebruch konnte zur Exkommunikation führen. Die Beherrschung der Zunge schließlich soll Lügen und Verleumdung Einhalt gebieten, gleichzeitig bringt es zum Ausdruck, daß Außenstehenden keine Geheimnisse der Lehre preisgegeben werden dürfen.
Die oben aufgeführten Gebote sind nicht als bloße Moralkodizes
aufzufassen, vielmehr sie sind kategorisch und haben normativen Charakter.
Die Nichteinhaltung wird mit drastischen Maßnahmen sanktioniert,
Exkommunikation ist eine der Konsequenzen, körperliche Züchtigung
oder gesellschaftliche Ächtung sind weitere Möglichkeiten der
Bestrafung. Nur unter Berücksichtigung der Lebensumstände werden
die Folgen solcher Sanktionen deutlich: Angesichts osmanischer Dominanz
und Verfolgung war die Zugehörigkeit zum Kollektiv lebensnotwendig.
Noch heute wird bei religiösen Zeremonien ein Gelübde auf diese
drei zentralen Gebote abgelegt.