1.3.1.2 Die Kizilbas

Auf diese Zeit geht auch die Bezeichnung Kizilbas (Rotkopf) zurück. Zur Rekrutentracht der Gefolgschaft Haydars gehört eine rote Kopfbedeckung (Haydar-Kappe). Laut Überlieferung erscheint Ali in Haydars Traum und gebietet ihm, unter seinen Anhängern eine rote Kopfbedeckung einzuführen. „On awaking Sultan Haidar remembered the form, and having cut out a cap to a pattern, ordained that all Sufis should make for themselves caps like this and wear them. They gave it the name Taj-i-Haidari or Haidar’s Cap; and as in the Turkish language Kizil means scarlet, this holy bold became known as the Kizilbash or‚ red heads“.

Spätestens zu dieser Zeit kann nicht mehr von einem mystischen Sufi-Orden gesprochen werden, vielmehr entsteht unter Haydars Leitung eine militärische Organisation, die ihre Schlagkraft „durch den Fanatismus der Mitglieder, die ihren Führer als Heiligen verehrten“,  bezieht. Seine Erfolge sind allerdings mäßig, zwar prosperiert der Ardabiler Orden (dies zum Ärgernis der einheimischen Aristokratie, hauptsächlich der zuvor paternalistischen Akkoyunlu), mehrfach wird der Expansionsrausch mittels Kraftaustausch gebremst, und dennoch können sich die Safaviden  vom Joch einer undefinierten Handlanger-Mentalität nicht ganz lösen. Sie sind eine permanent verfügbare Stoßtruppe für lokale Fürstentümer, immer wieder wird auf ihre Hilfe zurückgegriffen, wobei abzusehen ist, daß sie sich mit dieser ihnen zugedachten Staffage nicht zufriedengeben würden.  Haydars gewaltsamer Tod und die folgende Stagnation sind von sehr kurzer Dauer. Bereits sein Sohn Ali baut Ardabil zum religiösen und politischen Zentrum der Safaviden-Bewegung aus, sein Enkel Ismail allerdings legt den Grundstein des heutigen Iran.
Prägende Merkmale jener Zeit um 1450 sind Zersplitterung und Konsolidierung, so gegensätzlich dies sich anfänglich auch anhören mag. Über Aserbaidschan, wo sich auch Ardabil befindet, herrschen die turkmenischen Karakoyunlu, Ostanatolien gehört noch zur Einflußsphäre der gleichsam turkmenischen Akkoyunlu. Sie sind allesamt Fürstentümer, sogenannte „Beyliks“, hervorgegangen aus dem Sieg Timurs über die Osmanen Anfang des 15.Jahrhunderts. Ein Großteil West-Kleinasiens wird von den Osmanen beherrscht; während erstgenannte an Macht einbüßen, festigen osmanische Heere sukzessive ihre Vormachtstellung über die verbliebenen Regionen.

Mit Schah Ismails Auftreten erstarkten die Safaviden so sehr, daß sie binnen kürzester Zeit große Territorien für sich verbuchen können. Von ihm weiß die heutige Geschichts- und Religionsforschung zu berichten, daß er eine –wenn überhaupt– minimale Orientierung zur extremen Schiia aufwies. Zwar kam den zwölf Imamen auch bei den Safaviden eine relativ große Bedeutung zu, dennoch kann auf der Ebene der gelehrten Theologie eindeutig nachgewiesen werden, daß kaum inhaltliche Übereinstimmung etabliert wurde, dies allerdings unbewußt, denn der Zwölferschiia glaubte man sich bedingungslos verschrieben zu haben.

In diesem Zusammenhang taucht oftmals der Begriff des „Volksislam“ auf. Das schiitische Gedankengut bei Ismails Vorfahren soll laut Roemer „be seen in the framework of Folk Islam without ever having consciously of overtly gone over the Shi’a.“  Dieser habe all das repräsentiert, was den Orthodoxen „seit eh und je ein Dorn im Auge war: Wunderglaube, Wahrsagerei, Traumdeutung, Heiligenkult, volkstümliche Wallfahrtsstätten und einflußreiche Ordensgemeinschaften mit mystischen Praktiken.“  Der Volksislam wird definiert als eine Glaubensform, die „fernab von religionsrechtlichen Spitzfindigkeiten und den Streitereien der Theologen zu einem undogmatischen Verständnis des Islam“ führe.  Er ist Antonym für den Hochislam der städtischen Kreise und charakterisiert die Religiosität der einfachen Landbevölkerung, als „deren hervorstechenden Merkmale Heiligenverehrung, Wunderglaube, Gebärkult und ein ausgeprägter Ali-Kult galten. Im Volksislam sind auch überkommene vorislamische Elemente subsumiert, und sie fanden auch Eingang in die volkstümlichen mystischen Bruderschaften der Zeit, wie auch den Orden der Safaviden. Auch wenn sich solche für den Volksislam typischen religiösen Foren teilweise extrem schiitische Formen aufwiesen –am deutlichsten in der überschwenglichen Verehrung Alis und seiner Nachfahren– wäre ihre Charakterisierung als schiitisch im Sinne der gelehrten Theologie unzulässig.“